Am 11. Februar 2015 jährt sich die Schlacht am Welfesholz zum 900. Mal. Aus diesem Anlass möchte ich Ihnen am heutigen Tag ein Konzept für eine neue historische Sicht auf unser Heimatland Sachsen-Anhalt vorstellen. Dieser Aufsatz entstand als Resultat von Gesprächen, die ich im Nachgang an die Veröffentlichung meines Artikels “Anhalt800 und die Folgen: Muss Sachsen- Anhalt historisch neu gedacht werden?” geführt habe. Dabei wurde mir bewusst, dass es im Bezug auf die Begriffe “Sachsen” und “Anhalt” und ihre Rolle in der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte viele Unklarheiten gibt.
Ich habe mir deshalb die Aufgabe gestellt, einige Aspekte der 1200-jährigen Entwicklung der sächsisch-anhaltischen Kulturlandschaft bis zu ihrer Ausprägung als eigenständiges Bundesland unter besonderer Beachtung des Sachsenbegriffes neu zusammenzustellen, und möchte Ihnen hiermit nun das Ergebnis vorlegen.
Als Kernresultat dieser Arbeit kann die Erkenntnis gelten, dass es sich beim Land Sachsen-Anhalt keineswegs um ein Gebilde mit kurzer Tradition handelt. Sachsen-Anhalt ist weder “künstlich” noch ist die Verwendung des Begriffes “Sachsen” im Landesnamen “unglücklich”. Ganz im Gegenteil!
Sachsen-Anhalt ist legitimes Nachfolgeterritorium des Herzogtums Sachsen und des Fürstentums Anhalt. Beide Länder wurden beim Bernburger Erbfall 1212 im Herzen unseres Bundeslandes brüderlich gestiftet. Ihre im Jahr 1946 erfolgte Vereinigung zu einem eigenständigen Land unter dem Namen “Sachsen- Anhalt“ brachte zum Ausdruck, dass die Gründung dieses Bundeslandes integraler Teil der sächsisch-anhaltischen Geschichte ist.
„Ab 6. Juni 1815 übernahm das nach Merseburg verlegte Generalgouvernement als ‚Generalgouvernement des Herzogtums Sachsen‘ die Aufgaben der obersten Verwaltungsbehörde für die an Preußen abgetretenen Landesteile.“ (Udo Dräger, „Die Bildung der Provinz Sachsen und die Stadt Halle“, Halle 2000, S. 69). Dieses Datum markiert den bedeutenden Sachverhalt, dass sich das Zentrum des Herzogtums Sachsen zum zweiten Mal in seiner Geschichte an die Elbe-Saale-Linie zurückverlagerte. Bereits im Jahr 1180 wurde mit der Übertragung der Herzogswürde auf die Askanier ihr Herrschaftssitz Bernburg an der Saale unter Herzog Bernhard III. von Sachsen für wenige Jahrzehnte zum repräsentativen Schwerpunkt des sächsischen Herzogtums.
Zwischen der Zeit vor 1815 und der Zeit vor 1180 gab es durchaus Parallelen. In beiden Fällen wurde versucht, den Sachsenbegriff politisch zu instrumentalisieren, um einer einzelnen Dynastie eine herausragende Machtfülle zu ermöglichen. Die Tatsache, dass die lange auf der Agenda mächtiger dynastischer Herrscher stehende territoriale Vereinigung des sächsisch-anhaltischen Raumes erst unter demokratischen Verhältnissen in einem geeinten deutschen Bundesstaat und auf föderaler Basis gelang, ist bemerkenswert!
Somit wird der Bernburger Erbfall 1212 zum konstituierenden Element der sächsisch-anhaltischen Geschichte. Er verknüpft über die Tradition des askanischen Herzogtums Sachsen und des Fürstentums Anhalt die Gründung des Landes Sachsen-Anhalt mit dem sächsischen Herzogtum der Billunger und schafft somit eine Linie, die von der Königserhebung Heinrichs I. im Jahr 919 bis zur Wiedergründung Sachsen-Anhalts am 29. Januar 1991 reicht. Damit stellt der Bernburger Erbfall jenes lange gesuchte Schlüsselereignis dar, das nicht nur die Integration des heutigen Landes Sachsen-Anhalt mit seiner historischen Kulturlandschaft, sondern auch der Regionen des Landes als Teil dieser Kulturlandschaft ermöglicht. Sachsen-Anhalt besitzt als legitimer Träger sächsischer und askanischer Traditionen eine historische Würde, über die kaum ein zweites Bundesland in Deutschland verfügen kann. Das bevorstehende 1100-jährige Wahljubiläum Heinrichs I. im Jahr 2019 könnte somit eine neue Phase in der öffentlichen Wahrnehmung des Landes Sachsen-Anhalt einleiten. In keinem anderen Bundesland lassen sich alle Facetten der 1100-jährigen Geschichte Sachsens vollständiger darstellen! Der Sachsenbegriff verbindet uns in vielfältiger Weise mit unseren Nachbarbundesländern. Sich auf sächsische Traditionen zu besinnen, heißt, innerdeutsche Grenzen zu überwinden. Aber erst wenn Sachsen-Anhalt seine historische Verantwortung als legitimer Nachfolgestaat des sächsischen Herzogtums auch selbst annimmt, könnte die integrierende Wirkung des Begriffs „Sachsen“ wieder voll entfaltet werden. Aufgrund seiner sächsischen und askanisch-anhaltischen Traditionen würde Sachsen-Anhalt somit eine aktive Rolle bei der immer noch ausstehenden kulturellen Vereinigung Deutschlands spielen können. Dieser Verantwortung müssen wir uns als Sachsen-Anhalter, gerade in Hinblick auf die jüngsten Ereignisse, bei denen wieder die “negative Identitätsbildung“ über Aus- und Abgrenzung in erschreckender Weise hervortrat, bewusst sein!
Der Zusammenfall mit dem Bauhausjubiläum und dem Königswahljubiläum Heinrichs I. im Jahr 2019 ermöglicht reizvolle Bezüge, um Sachsen-Anhalt sowohl als Land der sächsisch-anhaltischen Tradition als auch als Land der Moderne im Nachgang an das Reformationsjubiläum 2017 weltweit neu zu präsentieren. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich bezüglich der im Text zur Anwendung kommenden Sprache zunächst eine sehr verdichtete Form wählen musste. Aber nur so war es mir möglich, die gestellte Aufgabe in einem überschaubaren Zeitraum zu realisieren. Die gesamte Problematik hätte sicher eine umfangreiche und didaktisch optimierte Präsentation verdient. Ich hoffe dennoch, dass Ihnen der Text Anregungen zu einer veränderten Sicht auf unser Heimatland Sachsen-Anhalt vermitteln und einen Beitrag für eine selbstbewusste Präsentation des Landes im bevorstehenden Jubiläumsjahr 2019 leisten kann. Die Bewältigung dieser sachsen-anhaltischen Gemeinschaftsaufgabe sollte als neues Ziel nach dem Reformationsjubiläum 2017 in Angriff genommen werden!