Kreuzer 03-2021 – Hundert Jahre Mitteldeutschland-Propaganda

Über einen Leipziger Geografie-Fake und seine fragwürdige Karriere

Beitrag von Olaf Böhlk im Leipziger Stadtmagazin „KREUZER“ (Heft 03-2021) zum 100. Jahrestag der Etablierung der Idee „Mitteldeutschland“ als völkisches Propagandakonzept durch Albrecht Penck in der Neuen Börse zu Leipzig am 5. März 1921.

Weiterführende Literatur

Böhlk, Olaf (2020) „1921–2021: 100 Jahre Kampfbegriff ‚Mitteldeutschland‘: Zur völkischen Radikalisierung eines geografischen Placebos“

Am 05.03.1921 hielt Albrecht Penck in der „Neuen Börse“ zu Leipzig einen Vortrag unter dem Titel „Der Großgau im Herzen Deutschlands“. Einer der einflussreichsten Geografen seiner Zeit verknüpfte darin bisher getrennt auftretende Motive zu einem wirkmächtigen Gesamtkonzept. Pencks Rede bildete einen programmatischen Auftakt für die Institutionalisierung der völkischen „Mitteldeutschland“-Forschung in Leipzig. Es ist geradezu verblüffend modellhaft am Beispiel „Mitteldeutschland“ zu verfolgen, wie Geografen, Historiker, Archäologen und Raumplaner einer Idee zunächst einen Namen verliehen, diesen sodann in Karten visualisierten, dazu passende „natürliche“ Präfigurationen, archäologische Artefakte und eine überzeitliche Geschichte „auffanden“, um schließlich, über Umorganisation bestehender Verwaltungsgrenzen, das zuvor imaginierte Gebilde tatsächlich als staatlich verfassten „Lebensraum“ eines „Mitteldeutschen Menschen“ real erschaffen zu wollen. Hans-Dietrich Schultz: „Es sei, verlautbarte [Otto] Schlüter, ‚als ob das Wesen Gesamtdeutschlands in seinem mittleren Teil gesteigert wäre‘“. Parallelen zur gleichzeitig ablaufenden völkischen Konstruktion einer „deutschen Nation“ sind offenbar kein Zufall. Der vorgelegte Beitrag liefert Hintergründe zur Genese des akademischen Gebrauchs der unbestimmbaren Bezeichnung „Mitteldeutschland“. An ihrer Verwendung lässt sich die Ohnmacht der protestantisch geprägten preußischen Wissenschaftselite im Umgang mit „säkularer Sakralität“4 (Lutz Hoffmann) studieren. Das unsinnige Abarbeiten an einem Phantom führt die Macht sakraler Konzepte vor Augen, wenn diese erst einmal, aus ihrem religiösen Kontext herausgelöst, ein dämonisches Eigenleben entfalten können.

Auf der Plattform academia.edu: https://www.academia.edu/43989369/

Auf der Plattform researchgate.net
https://www.researchgate.net/publication/343999415