1946 – 2016: 70 Jahre Landesname „Sachsen-Anhalt“

MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE vom 03.12.2016, 19:00 Uhr

Aus Anlass des 70-jährigen Jubiläums des Landesnamens „Sachsen-Anhalt“ werden hier die Protokolle zu den Tagesordnungspunkten I und II der zweiten Sitzung des Landtages der Provinz Sachsen am 3. Dezember 1946 im Stadtschützenhaus in Halle (Saale) auszugsweise wiedergegeben. Quelle: „Akten und Verhandlungen des Landtags der Provinz Sachsen-Anhalt 1946 – 1952“. Frankfurt am Main: Kein, 1992., S. 16-18.

Zweite Sitzung des Landtages der Provinz Sachsen am 3. Dezember 1946 Halle (Saale), Stadtschützenhaus

Tagesordnung

  1. Beschlußfassung über die Umbildung der bisherigen Provinzialverwaltung der Provinz Sachsen in eine Provinzialregierung
  2. Antrag auf Umbenennung der Provinz Sachsen in „Provinz Sachsen-Anhalt“
  3. […]

Beschlußfassung über die Umbildung der bisherigen Provinzialverwaltung der Provinz Sachsen in eine Provinzialregierung. 

Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag vor, unterzeichnet von den Abgeordneten Koenen, Delius und Fascher. Wünscht zu diesem Antrage einer der Herren Abgeordneten das Wort?

Es meldet sich der Abgeordnete Eberhard.

Abgeordneter Eberhard (SED): Meine Damen und Herren! In ursächlichem Zusammenhang mit der durch den vom Nationalsozialismus entfachten Krieg über Deutschland hereingebrochene Katastrophe steht der Zerfall des Landes Preußen. Zur Wiederherstellung des normalen staatlichen und wirtschaftlichen Lebens wurde im Juli 1945 in Mitteldeutschland das Gebiet der Provinz Sachsen und des Landes Anhalt mit der vorläufigen Provinzialverwaltung in Halle gebildet. Alle Handlungen dieser provisorischen Verwaltung geschahen — das kann mit Genugtuung festgestellt werden — im Geiste einer auf ein einheitliches Deutsches Reich ausgerichteten demokratischen Ordnung. Nach der demokratischen Wahl der Volksvertretung für die Provinz Sachsen mit Einschluß von Anhalt ergibt sich nunmehr die Notwendigkeit, wie in den Ländern Sachsen und Thüringen die provisorische Verwaltung durch eine feste Ordnung, durch die Bildung einer Regierung zu ersetzen. Daß die zu bildende Regierung jeden Partikularismus ablehnen muß, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Sie soll sich auszeichnen durch ihr unbeirrbares Bestreben nach Wiederherstellung eines einheitlichen Deutschlands, das durch partikularistische Bestrebungen, wie sie in Bayern zu verzeichnen sind, in Frage gestellt wird. Ich glaube, im Namen aller Abgeordneten des Landtages zu sprechen, wenn ich der Hoffnung Ausdruck verleihe, daß die Besatzungsmächte dem deutschen Volke recht bald die Bildung deutscher Zentralverwaltungen gestatten mögen. Im Sinne der von den drei Fraktionen des Hauses in der 1. Sitzung am 18. November eingebrachten und einstimmig gutgeheißenen Entschließung wird die zu bildende Regierung als ein Glied des einheitlichen demokratischen Reiches wirken. Wir sind uns bewußt, daß die heutige Regierungsbildung keinerlei Vorentscheidung über die künftige Struktur Deutschlands bedeutet. Es wird und muß Sache des gesamten deutschen Volkes sein, durch eine geheime Volksabstimmung über die Gestaltung des einheitlichen einigen Deutschlands zu entscheiden (Beifall).

Präsident Böttge: Ich bitte um weitere Wortmeldungen.

Es meldet sich der Abgeordnete Delius.

Abgeordneter Delius (LDP): Den soeben gemachten Ausführungen können wir inhaltlich voll zustimmen. Wir werden morgen bei der Beratung der Landesverfassung im einzelnen uns noch damit zu beschäftigen haben. Wir wollen deshalb heute darüber nicht reden, sondern nur erklären, daß wir angesichts dieser grundlegenden Umwandlung unsererseits die großen Verdienste der bisherigen Provinzialverwaltung anerkennen. Wir sprechen dafür unseren besten Dank aus. Wir werden also morgen uns noch mit den Einzelheiten beschäftigen, stimmen aber selbstverständlich jetzt dem Antrage zu. (Beifall.)

Präsident Böttge: Das Wort hat der Abgeordnete Fascher.

Abgeordneter Fascher (CDU): Es war, meine Damen und Herren, die Eigentümlichkeit der Situation von 1918, daß gegenüber allen Erschütterungen eines verlorenen Krieges die Reichseinheit einigermaßen intakt erhalten blieb. Wenigstens in der Grundkonstruktion, die sie 1871 gefunden hatte. Die Situation von 1945 ist demgegenüber — wie ich nicht weiter auszuführen brauche — wesentlich verändert, denn wir stehen vor der großen, auch staatspolitischen Aufgabe, einen inneren Umbau und Neubau dieses wieder neuentstehenden demokratischen einheitlichen Reiches zu schaffen, in welchem auch das Verhältnis der einzelnen Länder zur Zentralgewalt neu geordnet werden muß. Und zwar in der Weise neu zu ordnen ist, die das Übergewicht eines dieser früheren Bundesstaaten gegenüber den anderen beseitigt, woraus ja die bekannten historischen Schwierigkeiten gerade in schwierigen geschichtlichen Situationen unseres Volkes immer wieder erwachsen sind. Sie werden sich alle der geschichtlichen Stunde bewußt sein, daß hier nicht nur ein Zwischenreich, dessen Existenz nicht entfernt die Dauer hatte, die seine Propheten verkünden zu wissen glaubten, dahinsinkt, sondern auch das Übergewicht des alten preußischen Staates verschwindet und an dessen Stelle nun eine Neuordnung der alten preußischen Provinzen treten muß. Ich glaube, Sie werden alle darin mit mir übereinstimmen, wenn wir der Überzeugung sind, daß diese Neu- und Umordnung in einer Weise erfolgen muß, die der Zusammenarbeit der einzelnen neuen Länder oder Provinzen, wie wir sie nennen mögen, zugunsten eines einheitlichen, zentralen, demokratischen Reiches gefördert werden muß. Und weil wir wissen, daß diese geschichtliche Aufgabe mit vereinten Kräften gelöst werden muß und wir aus einer geschichtlichen Tatsache die unabdingbaren Konsequenzen zu ziehen haben, darum haben wir auch dem Antrag und seiner Unterschrift sachlich und mit notwendiger Begründung und innerer Zustimmung zugestimmt. Und wir werden nun über die Einzelfragen der Neuordnung, die diese neue Provinz empfangen muß, entsprechend den Entwürfen das Wort nehmen. In diesem Augenblick liegt mir nur daran, auch einmal darauf hinzuweisen, daß wir in der Tat nicht eine formal-juristische Wandlung vornehmen, sondern eine Wandlung auf Grund einer wichtigen geschichtlichen Wendung innerhalb unseres Volkes. (Bravo.)

Präsident Böttge: Wortmeldungen liegen nicht weiter vor. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir die Möglichkeit haben, heute schon über einen derartigen Antrag abzustimmen. Das liegt daran, daß wir nach der 1. Sitzung des Landtages an die Besatzungsbehörde hier in unserer Zone sofort den Antrag richteten, die Provinzialverwaltung in eine Provinzialregierung umzubilden. Ich glaube im Namen des ganzen Hauses zu sprechen, wenn ich sage: Wir danken dem Marschall Sokolowskij für die schnelle Erledigung unseres Antrages in zustimmendem Sinne. (Beifall.) Diese schnelle Zustimmung hat es uns ermöglicht, alle diese Beschlüsse, die wir im Verlaufe der Sitzung des Landtages fassen und fassen wollen, glatt zu erledigen. Ich lasse also abstimmen über den Antrag Koenen, Delius und Fascher.

„Der Landtag wolle beschließen, nach erfolgter Genehmigung durch den Obersten Chef der sowjetischen Besatzungszone die bisherige Provinzialverwaltung Sachsen in eine Provinzialregierung umzubilden.“ Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Danke! Wer ist dagegen? (Niemand meldet sich.)

Ich stelle die einstimmige Annahme dieses Antrages fest.

Damit wäre die bisherige Provinzialverwaltung ersetzt durch eine Provinzialregierung, der, so hoffen wir, in nicht zu ferner Zeit nun die Landesregierung folgen wird.

Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung. Hier liegt ebenfalls ein Antrag vor der Herren Abgeordneten Koenen, Delius, Fascher: Der Landtag wolle beschließen, den Namen der Provinz Sachsen zu ändern in Provinz Sachsen-Anhalt.

Liegen hierzu Wortmeldungen vor?

Das Wort hat der Abgeordnete Jungmann.

Abgeordneter Jungmann (SED): Meine Damen und Herren! Ein Blick auf die Karte Mitteldeutschlands zeigt uns, daß der bisherige Freistaat Anhalt von allen Seiten von der Provinz Sachsen eng umschlossen wird. Verkehrswege vom südlichen nach dem nördlichen Teil der Provinz durchqueren ganz Anhalt. So kommen wir jetzt zu einem Punkt, wo wir überlegen wollen, wie sich die Neugestaltung eines restlichen Teiles des nicht mehr bestehenden preußischen Staates neu gruppiert. Die Bodenschätze, die Landwirtschaft, Braunkohlen- und Industriewerke sind die Basen, auf der die frühere Provinz Sachsen, wie auch der Freistaat Anhalt immer eng verbunden einheitliche, wirtschaftliche Sorgen und auch frohe Tage hatten. Bei dieser Neugestaltung ist zu überlegen, welche Bezeichnung die bessere ist. Ehe jemals eine Behörde oder eine Regierung oder eine Verwaltung diesen Begriff Sachsen-Anhalt herausstellte oder bezeichnete, haben wirtschaftliche, soziale und kulturelle Organisationen von unten her diesen Begriff Sachsen-Anhalt geprägt, und er hat sich eingelebt, er ist populär geworden in der ganzen Provinz Sachsen und in Anhalt. Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß man jetzt nach der Umbezeichnung der Verwaltung in Regierung nun auch dem ganzen Gebiet, das sich zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Gebilde zusammengefunden hat, die populärste und treffendste Bezeichnung gibt: Sachsen- Anhalt.

Präsident Böttge: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwarze.

Abgeordneter Dr. Schwarze (LDP): Verehrte Anwesende! Es wäre in diesem historischen Augenblick vielleicht reizvoll, selbst einmal in die Ferne zu schweifen, um die historische Entwicklung unserer Provinz Sachsen, die nun den Namen Sachsen-Anhalt führen soll, hier zu entwickeln. Reizvoll besonders für einen, der von Geburt Anhaltiner ist und nun seine Heimat für die größere Heimat des Landes Sachsen-Anhalt aufgeben soll Ich will aber nicht in die Ferne schweifen, ich will nur daran erinnern, daß wir im Jahre 1918 vor einer ähnlichen Frage standen, als damals die Dynastien zusammenbrachen und man in weiten Kreisen unseres Volkes der Meinung war, daß nun die Hemmnisse beseitigt waren, die der Einheit und Einigung unseres Volkes bisher im Wege gestanden hatten. Aber Sie wissen selbst alle, daß es damals nicht gelungen war, die Länder zu beseitigen und die Einheit des Reiches zu schaffen und die Länderregierungen zugunsten des Reiches zu beseitigen. Sehr bald kamen aus den verschiedensten Teilen Deutschlands die Stimmen, die diesen ersten Sturm der Begeisterung wieder zu Grabe tragen wollten, weil sich nun wieder die Länder regten. Ich bin von dieser Sünde selbst nicht frei. Ich muß sagen, ich habe damals als Mitglied des Anhaltischen Landtages auch den Antrag mit angenommen, daß wir mit allen Mitteln dafür sorgen wollten, die Selbständigkeit des Landes Anhalt zu erhalten. Jetzt ist zu prüfen, ob die Länder überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben. Man ist nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Teilen Deutschlands in demselben Sinne tätig. Es ging eine Nachricht durch die Presse, daß im Westen Deutschlands Lippe, Oldenburg und Braunschweig auch auf ihre Selbständigkeit verzichten. Bei uns in der sowjetischen Zone ist dieser Prozeß schon viel weiter durchgeführt als besonders im Westen. Jetzt sind ja nun die Länder nur noch reine Verwaltungsbezirke und nicht Provinzen. Daß Anhalt nicht als selbständiges Land aus politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gründen bestehen kann, darüber sind wir uns alle einig und damit müssen wir Anhaltiner uns abfinden. Aber wir sind der Überzeugung, daß Anhalts große kulturelle Vergangenheit auch erhalten werden muß. Diese kulturelle Vergangenheit, die, davon sind wir alle überzeugt, eben im kleinen Rahmen Mitteldeutschland eine Sonderstellung gebracht hat, wird — das ist gewiß — durch diese große Tradition unserer anhaltischen Kultur auch im großen Rahmen erhalten werden. Wir denken daran, daß neben dem Kulturzentrum Halle doch auch noch als Kulturzentrum Dessau trotz allem erhalten bleiben wird und das neue Anhaltische Landestheater, das aus den Trümmern entstanden ist, mit seinem Wirken im Sinne der Tradition der Vergangenheit und in seinem Wirken für eine lebendige kulturelle Zukunft ist ja der beste Beweis dafür. Uns ist es gelungen, daß Wörlitz, dieses kulturelle Idyll aus der Goethezeit, durch das Wirken der verantwortlichen Männer der Gegenwart bis heute erhalten blieb. Wir wissen auch, daß die Beziehungen auf kulturellem Gebiet zwischen Anhalt und der Provinz Sachsen immer so eng waren, daß die Neuschaffung nichts Neues, sondern nur eine Unterstreichung des Bisherigen bedeutet. Ich brauche nur an das lebendige Wirken der Universität Halle zu erinnern, wo ja der größte Teil der Söhne Anhalts ihre geistige Heimstätte gefunden haben. Darum soll die Schaffung der Provinz Sachsen-Anhalt keine Unterbrechung, sondern eine innigere Gestaltung der beiderseitigen Beziehungen bedeuten. Wir begrüßen auch den Namen der neuen Provinz und des neuen Landes und freuen uns, im Rahmen des Landes zum Ganzen streben zu können und als dienendes Glied uns dem Ganzen im Interesse der Einheit Deutschlands auch anschließen zu können.

Präsident Böttge: Das Wort hat der Abgeordnete Warnke.

Abgeordneter Warnke (CDU): Meine Damen und Herren! Der ehemalige Staat Preußen, das ist schon vorhin betont worden, wird jetzt endgültig ins Grab gelegt Auf seinem Boden entstehen neue Staaten und Sie haben soeben beschlossen, aus unserer Provinz Sachsen einen neuen Staat zu bilden. Wenn es sich um die Namengebung handelt, so stehen wir von der CDU auf einem etwas anderem Standpunkt und wir möchten Ihnen die Anregung geben, diesen neuen Staat mit Mittelsachsen zu bezeichnen. Wenn wir uns in der Staatenbildung unserer neuen Zeit im Deutschen Reich umsehen, so ist schon der Anfang zu diesem gegeben worden von dem Staat Niedersachsen, der sich aus Hannover. Oldenburg und Braunschweig zusammensetzt. Man hat hier absichtlich einen neuen Namen gewählt, um die Namen der Kleinstaaten nicht in die neue Zeit zu übernehmen, um die Kleinstaaterei unseligen Angedenkens auch mit Stumpf und Stiel endgültig zu beseitigen. Wenn wir nun dafür eintreten, daß unser neuer Staat die Bezeichnung Mittelsachsen bekommt und vielleicht das frühere Königreich Sachsen die Bezeichnung Obersachsen bekommt, so haben wir, meine Damen und Herren, schon etwas Ähnliches sonst in unserem deutschen Vaterlande: Wir haben ein Oberbayern, wir haben ein Mittelbayern und ein Niederbayern, wir haben ein Oberfranken, ein Mittelfranken und ein Unterfranken. Wir haben den geographischen Begriff Oberrhein, Mittelrhein und Niederrhein. Meine Damen und Herren! Wir würden dann so etwas Ähnliches schaffen und ich möchte sagen, auch aus pädagogischen Gründen sind diese Fragen notwendig, weil die Kinder, die von Sachsen sehr weit entfernt wohnen, sich unter diesem Begriff gar nichts vorstellen können, wohl aber ist die Bezeichnung Obersachsen, Mittelsachsen und Niedersachsen den Kindern von vornherein geläufig und schafft einen klaren Begriff. Meine Damen und Herren, auch aus einem anderen Grunde: Der Name Mittelsachsen würde die Tradition von Mitteldeutschland fortsetzen oder auch umgekehrt und es würde jeder sofort wissen, wo er Mittelsachsen einzugliedern hat. Außerdem möchte ich Sie an die wissenschaftliche Großtat Martin Luthers erinnern, der aus dem mitteldeutschen Raum in gewissem Sinne die Schaffung der neudeutschen Schriftsprache vorgenommen hat. Aus ‚allen diesen Gründen sind wir der Meinung, daß wir uns von der Tradition — wenn auch ein gewisser gesunder Konservatismus geboten ist — lösen, und für den neuen Staat den Namen Mittelsachsen annehmen.

Präsident Böttge: Ich nehme an, daß das kein Antrag für die heutige Sitzung, sondern für die kommende Sitzung ist, wenn wir die Genehmigung bekommen, den Namen zu ändern.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag, der Landtag solle beschließen, den Namen der Provinz Sachsen in „Provinz Sachsen-Anhalt“ umzuändern. Wer für diesen Antrag ist, bitte ich um das Handzeichen. (Geschieht.) Ich stelle auch hier einstimmige Annahme fest.